Vom Hindukusch bis Buchenwald

Über das Aufeinandertreffen zweier kollektiver Traumata und die Grenzen des Sprechens

Zu Jahresbeginn 2020 lernen sich Sherdin und die Autorin bei einer gemeinsamen Arbeit in der Gedenkstätte Buchenwald kennen und freunden sich an. Doch je länger sich der aus Afghanistan geflüchtete Sherdin auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers aufhält, umso häufiger holen ihn seine Erinnerungen ein. Er kündigt. Fast zur gleichen Zeit erreicht ihn die Nachricht über die Ablehnung seines Asylantrags. Hier setzt "Sherdins dritte Flucht" an, denn hier nehmen auch die Gespräche zwischen der Autorin und Sherdin ihren Anfang, die zur Grundlage dieses Buches geworden sind. Sie sprechen über Buchenwald, über Sherdins Vergangenheit in Afghanistan, über Rassismus in Deutschland und das sensible Verhältnis von Erinnerung, Schmerz und Sprache. Das Buch spürt den Abgründen und Unsicherheiten nach, die mit dem Versuch, über extreme Gewalterfahrung zu sprechen, verbunden sind. Angesichts der Stacheldrähte, die an den europäischen Außengrenzen hochgezogen wurden, reflektiert es über die längst bis zur Nichtexistenz ausgehölten Menschenrechte. Und nicht zuletzt erzählt das Buch die Geschichte eines Menschen, der - vor dem Hintergrund seiner Flucht und des alltäglichen Rassismus in Europa - mit aller Kraft um seine Integrität und Unabhängigkeit kämpft.

Tine Rahel Völcker ist Autorin von Theaterstücken, Hörspielen und Prosa. Ihre Arbeiten thematisieren häufig die Folgen der nationalsozialistischen Verbrechen und suchen Wege, über Gewalt zu sprechen, ohne sie zu reproduzieren - so in ihrem Prosadebüt "Chantal Akermans Verschwinden" oder in "Frauen der Unterwelt". Theaterstücke von ihr wurden u.a. am Wiener Schauspielhaus, am Maxim Gorki Theater Berlin und am Düsseldorfer Schauspielhaus aufgeführt. Die Autorin lebt in Berlin.